PRESSEMITTEILUNG
Appell zur Anerkennung der Zwangssterilisierten und Euthanasie-Geschädigten als NS-Verfolgte
(Berlin 08.05.14) Die noch lebenden Opfer der nationalsozialistischen Zwangssterilisation und „Euthanasie“-Geschädigte sollen endlich als Verfolgte des NS-Regimes anerkannt und damit den anderen Opfergruppen rechtlich gleichgestellt werden. Dies fordern der Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten (BEZ) und der Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation in einem gemeinsamen Appell Ende April an die Bundestagsfraktionen, den Bundespräsidenten und die Landesregierungen.
Zum Hintergrund der Forderungen
Zwangssterilisierten und „Euthanasie“-Geschädigten wurde in der Bundesrepublik bis 1980 jegliche Entschädigung als NS-Opfer verweigert. Die immer wiederkehrende Argumentation dafür war, dass ihr Leid „kein typisches NS-Unrecht“ sei und sie somit nicht unter den § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) – Verfolgung aus Gründen der Rasse – fallen würden. Man schloss Zwangssterilisierte und „Euthanasie“-Geschädigte aus dem BEG aus.
Der Ausschluss von Opfergruppen hat in der Bundesrepublik Tradition. In der Diskussion um das BEG-Schlussgesetz 1961 ließ sich das Parlament von drei führenden ehemaligen NS-Rassehygienikern beraten: den Professoren Helmut Ehrhardt, Hans Nachtsheim und Werner Villinger. Nicht deren eugenische Argumentation, aber ihre Schlussfolgerung, es handele sich nicht um ein typisches NS-Gesetz, wird bis heute von den Entscheidungsträgern zur Ablehnung der Forderung der Opfer nach Anerkennung als Verfolgte herangezogen. Dies ist für die Betroffenenvertreter „unverständlich und empörend“.
„Ethisch-moralische und politische Pflicht“ die Beschlusslage zu korrigieren
Aus ihrer Sicht ist es eine „ethisch-moralische und politische Pflicht, diese durch personelle und ideologische Kontinuitäten zustande gekommene Beschlusslage“ dringlich zu korrigieren. „Die nach 1945 fortdauernden Diskriminierungen und Ausgrenzungen der Zwangssterilisierten und „Euthanasie“-Geschädigten sollte verurteilt werden und die Betroffenen durch eine ergänzende Regelung zum BEG den anderen NS-Verfolgten gleichgestellt werden. Grundlage hierfür sollte die 2007 im Deutschen Bundestag beschlossene Ächtung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und die bereits 1994 erfolgte Anerkennung der Zwangssterilisationen als NS-Unrecht sein“, heißt es in dem Appell.
Die Gleichstellung besonderer Opfergruppen, wie etwa diejenigen, die auf Grund ihrer Gewissensentscheidung oder ihrer künstlerischen oder wissenschaftlichen Richtung verfolgt wurden, mit den anderen NS-Verfolgtengruppen ist bereits im BEG vollzogen. „In diesem Sinne sollte auch die Gruppe der Zwangssterilisierten und „Euthanasie“-Geschädigten anerkannt und gleichgestellt werden, um den wenigen noch lebenden Opfern und ihren Angehörigen Gerechtigkeit zu Teil werden zu lassen“. Denn solange den Opfern nicht der Status als „rassisch Verfolgte“ zuerkannt wird, haben sie, von Härteleistungen abgesehen, weder die volle rechtliche Anerkennung als NS-Verfolgte noch Ansprüche im Sinne des BEG.
Der Appell sowie eine Dokumentation der bisherigen parlamentarischen Debatten ist auf der Webseite des Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten unter www.euthanasiegeschaedigte-zwangssterilisierte.de/ in der Rubrik Rehabilitation abrufbar.
Pressekontakt:
Für den Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation:
Dr. Michael Wunder
Beratungszentrum Evangelische Stiftung Alsterdorf
Paul-Stritter-Weg 7
22297 Hamburg
Tel: (040) 50773566
Email: m.wunder(at)alsterdorf.de
Internet: http://www.ak-ns-euthanasie.de
Für die AG Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten:
Margret Hamm
AG Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten
c/o Verein Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V.
Stauffenbergstraße 13-14
10785 Berlin
Telefon: (030) 26 39 78 3
Telefax: (030) 26 39 78 40
Email: bez(at)ag-bez.de
Internet: www.euthanasiegeschaedigte-zwangssterilisierte.de/
Über die Arbeitsgemeinschaft Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten:
Der Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten e.V. (BEZ) wurde 1987 in Detmold gegründet und arbeitete bundesweit. Zum 31.12.2009 löste sich der Verein in der Rechtsform als e.V. auf und arbeitet seit 01.01.2010 weiter unter dem Namen „Arbeitsgemeinschaft Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten“ (AG BEZ). Sie unterstützen die Opfer des in der NS-Zeit 1933 erlassenen „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, auch bekannt als Erbgesundheitsgesetz. Der BEZ leistet betreuende Hilfe für die Opfer z.B. bei Anträgen und Behördenangelegenheiten, forscht in Archiven nach Beweisunterlagen und engagiert sich politisch gegen die damals erlittene Verfolgung.
Über den Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation
1983 fanden sich in der Bundesrepublik erstmals haupt- und nebenamtliche Forscherinnen und Forscher unterschiedlicher Fachrichtungen zusammen, um am Beispiel der Institutionen des Gesundheitswesens, in denen sie arbeiten, die Geschichte der NS-Verbrechen an den als „minderwertig“ Erachteten Personen aufzuklären. Dem von ihnen gegründeten Arbeitskreis zur Erforschung der Geschichte von NS-„Euthanasie“ und Zwangssterilisation gehören heute Krankenpflegekräfte, Ärzte, Theologen, Historiker, Juristen, Gedenkstättenmitarbeiter, Pädagogen, Psychologen, Soziologen und Fachjournalisten an. Jährlich finden auf Einladung wechselnder Kooperationspartner eine Frühjahrs- und eine Herbsttagung statt. Der Arbeitskreis versteht sich als offenes Forum und lädt jede und jeden in diesem Themenbereich Arbeitenden zur Mitarbeit ein.
Seit der Gründung hat der Arbeitskreis auch immer wieder zu aktuellen bioethischen Themen kritisch Stellung bezogen, wie z.B. zur Präimplantationsdiagnostik. Diese Papiere finden sich auf der Webseite des AK unter www.ak-ns-euthanasie.de