28.03.20: Studie: Beihilfe zur Selbsttötung ist wirtschaftlich sinnvoll, argumentieren schottische Akademiker

Symbolbild sterbehilfe-Kosten-Nutzen-RechnungEine neue Studie in der Zeitschrift „Clinical Ethics“, veröffentlicht am 10.03.2020, behauptet, dass das Zulassen von assistiertem Sterben sowohl denjenigen, die assistierten Suizid suchen, als auch der Öffentlichkeit erheblich zugute käme. Über die Studie berichtete ausführlich Michael Cook in einem Beitrag auf „BioEdge.org – bioethics news around the world“ am 15.03.2020

Zwei schottische Akademiker, Dr. David Shaw von den Universitäten Basel und Maastricht und Professor Alec Morton von der Universität Strathclyde, führen demnach in ihrem Artikel „Counting the cost of denying assisted dying“ drei wirtschaftliche Argumente an: die Kosten für unheilbar kranke Patienten mit schlechter Lebensqualität, die Kosten für eine anderswo besser nutzbare Versorgung und den potenziellen Nutzen der Organspende.

Dr. Shaw, der Hauptautor, sagte dem Bericht zufolge: „Einige Leute mögen behaupten, dass es hartherzig ist, Sterbehilfe aus der Perspektive des Ressourcenmanagements in Betracht zu ziehen; dies sind echte Menschen mit einem echten Leben. Diese Kritik ist unangebracht. Ein Teil der Motivation für unsere Argumentation ist gerade, dass es sich um echte Menschen mit einem echten Leben handelt, die Leid vermeiden wollen.“

Negative und positive „qualitätskorrigierte Lebensjahre“

Das erste Argument ist, dass es einwilligenden Patienten ermöglicht, negative „qualitätskorrigierte Lebensjahre“ (QALYS, siehe Link zur Definition unten) zu vermeiden. QALYs sind ein Maß für die Krankheitslast, das die Qualität und Quantität des gelebten Lebens umfasst und das von den Angehörigen der Gesundheitsberufe zur Bestimmung des Wertes von Gesundheitsergebnissen herangezogen wird.

Zweitens könnten die von Patienten, denen Sterbehilfe verweigert wird, verbrauchten Ressourcen stattdessen dazu verwendet werden, zusätzliche QALYs für Patienten an anderen Orten bereitzustellen, die weiter leben und ihre Lebensqualität verbessern möchten.

Drittens könnte die Organspende in diesem Zusammenhang eine zusätzliche Quelle für QALYs darstellen.

Die Autoren argumentieren, dass die Vermeidung negativer QALYs und der Gewinn an positiven QALYs zusammengenommen darauf hindeuten, dass das Zulassen von Sterbehilfe sowohl der kleinen Zahl von Menschen, die assistierten Suizid sucht, als auch der größeren Allgemeinbevölkerung erheblich zugute käme. Sie argumentieren, dass die Verweigerung der Sterbehilfe eine „Lose-Lose-Situation“ für alle Patienten ist.

In dem Papier schreiben die Autoren, „qualitätskorrigierte Lebensjahre“ würden seit Jahrzehnten bei Entscheidungen über die Zuteilung von Gesundheitsleistungen verwendet.

„Durch die Kombination von Lebensqualität und Sterblichkeit in einer Metrik ermöglichen sie die Quantifizierung der medizinischen Gewinne und Verluste und der relativen finanziellen Kosten einer großen Vielfalt von Behandlungen und Interventionen, wodurch wiederum diese verschiedenen Behandlungen miteinander verglichen und Finanzierungsentscheidungen getroffen werden können“, heißt es.

Organspende und Sterbehilfe

Die Organspende könne auch deshalb von Nutzen sein, weil es mehrere Gründe gebe, warum eine Organentnahme nach einem assistierten Sterben aus klinischer und wirtschaftlicher Sicht besser ist.

„Wenn Patienten die Sterbehilfe verweigert wird, verschlechtert sich die Organfunktion allmählich, bis sie auf natürliche Weise sterben, was bedeutet, dass eine Transplantation weniger wahrscheinlich erfolgreich ist“, so die Argumentation der Autoren. Zweitens müssen Patienten, die sich für die Sterbehilfe entscheiden, einen langwierigen Prozess durchlaufen, und die Organspende könne leicht und ohne Zwang in diesen Prozess integriert werden. Dadurch werde das Risiko verringert, dass Familienmitglieder versuchen, die Spende abzulehnen, was oft geschehe, wenn ein Patient auf eine nicht geplante Weise stirbt.

„Die rechtlichen Regelungen für assistiertes Sterben sind von Land zu Land sehr unterschiedlich, und wenn Großbritannien assistiertes Sterben (vermutlich in Form von assistierter Selbsttötung) legalisieren würde, könnten die Berechnungen hier auf der Grundlage der Besonderheiten des betrachteten Ansatzes präzisiert werden. Dennoch zeigt unser Papier im Allgemeinen, dass die Verweigerung des Sterbens sowohl für Patienten, die sterben wollen, als auch für diejenigen, die nicht sterben wollen, mit hohen Kosten verbunden ist“, heißt es weiter.

Ihr Argument sei jedoch nicht, dass die Legalisierung des assistierten Sterbens in erster Linie auf wirtschaftlichen Argumenten beruhen sollte; dies seien ergänzende Fakten, die nicht vernachlässigt werden sollten. Die Legalisierung der assistierten Suizidhilfe im Vereinigten Königreich werde „wahrscheinlich zu einem erheblichen Anstieg der QALYs in der gesamten Patientenpopulation führen“, so die Studienautoren.

Kritik und Kommentar Chr. Fodl

Kritik kam von Dr. Gordon Macdonald von der Lobbygruppe Care Not Killing, die sich gegen die Beihilfe zum Suizid ausspricht. „Dieser Bericht ist höchst beunruhigend. Er zeigt die Gefahren einer Legalisierung der Euthanasie auf. Sehr schnell bewegt sich das Argument von der persönlichen Autonomie hin zu Ärzten und Krankenschwestern, die Werturteile über die Lebensqualität anderer Menschen fällen und gleichzeitig versuchen, Geld zu sparen und gegen die so genannte ‚Bettenblockade‘ im Gesundheitswesen vorzugehen“, sagte er laut dem Bioedge-Artikel.

In der Tat macht der Fachartikel ganz unumwunden deutlich, wohin die Reise geht. Es geht weniger um die Autonomie der Einzelnen als um Kosten im Gesundheitswesen. Schon seit Jahrzehnten werden solche Argumente immer wieder angeführt, wieviel Menschen am Ende ihres Lebens für die Behandlung und die Solidargemeinschaft kosten. Mit derartigen Studien werden dann die Argumente pro Suizidbeihilfe und Sterbehilfe untermauert. Traute sich derartige Argumentation bislang kaum jemand öffentlich, tritt es nun offen zutage im Gewand der wissenschaftlichen Untersuchungen.

Vor dem Hintergrund des Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 26.02.20, mit dem Angeboten von Sterbehilfe-Vereinen Tür und Tor geöffnet wurde, darf man gespannt sein, wann die Debatte aus den Fachmagazinen auch bei uns in der Öffentlichkeit ankommt. Angesichts des zunehmenden Drucks im Gesundheitswesen und der Ökonomisierung wird es wahrscheinlich nicht allzu lange dauern.

Anm.: Dieser Beitrag ist zuerst auf www.sterbehilfe-debatte.de erschienen am 18.03.20.

Ergänzende Informationen:

Quellen:

Assisted suicide makes good economic sense, argue Scottish academics
by Michael Cook
BioEdge.org 15.03.2020

Übersetzt mit www.DeepL.com/Translator (kostenlose Version)

Originalpublikationen:

Counting the cost of denying assisted dying
David Shaw, Alec Morton
First Published March 10, 2020

PDF-SymbolCounting the Cost of Denying Assisted Dying
This is a peer-reviewed,accepted author manuscript of the following research article: Shaw, D., & Morton, A. (Accepted/In press). Counting the cost of denying assisted dying. Clinical Ethics.
PDF-Format, 15 Seiten

Weitere Informationen

Definition QALY bei Doccheck und ausführlicher bei Wikipedia

Legalising assisted suicide would save NHS money and provide organs, academics claim
In a ‘chilling’ new report, academics have argued how killing patients through assisted suicide in the United Kingdom would save the NHS money and provide organs for transplantation. Dr Gordon Macdonald, Chief Executive of Care not Killing said that this report “exposes the real agenda” of assisted suicide.
Society for the Protection of Unborn Children, 13.03.2020

26.02.20: Urteil Bundesverfassungsgericht: Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung verfassungswidrig

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