16.07.24: Kommentar AG BEZ zum Bundestag-Antrag „Opfer von NS-„Euthanasie“ und Zwangssterilisation – Aufarbeitung intensivieren“ (Drucksache 20/11945)

Deutscher BundestagIn einem gemeinsamen Antrag (Drucksache 20/11945) sprechen sich die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP im Deutschen Bundestag dafür aus, die Aufarbeitung der „Euthanasie“ und der Zwangssterilisationen während der nationalsozialistischen Diktatur zu intensivieren. Konkret werden dazu verschiedene Vorhaben zur Umsetzung genannt.

Der Antrag wurde am 27.06.24 erstmals im Deutschen Bundestag debattiert und am 03.07.24 vom Kulturausschuss gebilligt (siehe ergänzende Informationen unten). Zu dem Antrag veröffentlicht die AG BEZ am 17.07.24 den folgenden kritischen Kommentar.


Kommentar zur Bundestagsdrucksache 20/11945 vom 25.06.2024

Das Vorhaben, sich im Bundestag dem Thema Zwangssterilisation und „Euthanasie“ Verbrechen zu widmen und entsprechende Vorhaben zu beschließen, ist insgesamt positiv zu bewerten.

Was beim Lesen jedoch verwundert ist die Begründung der Forderungen. Manche Aussagen sind falsch, sie werden durch Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte widerlegt.

Was in dem Antrag nicht angesprochen wird, ist die gesellschaftspolitische Rehabilitation der Opfer durch den Beschluss zur Bundestagsdrucksache 16/3811 vom Mai 2007 und die noch offene politische Entscheidung (der Entschluss), zur Gleichstellung mit den anderen Verfolgten hinsichtlich der Entschädigungsfrage.(1)

Für die Opfer und ihre Angehörigen ist dies in vielfacher Hinsicht sehr wichtig, insbesondere, um von dem Stigma des „Lebensunwerten“ befreit zu sein, und auch von der entschädigungspolitischen Ausgrenzung. Der Parlamentsbeschluss von 2007 scheiterte genau an diesem Punkt, da die Abgeordneten nicht bereit waren, die Opfer als Verfolgte anzuerkennen, weil diese Anerkennung an den §1 des BEG (Bundesentschädigungsgesetz) gekoppelt ist. Der BEZ hat seit seiner Gründung vor fast vierzig Jahren genau um diese Anerkennung gekämpft – bis heute nur mit dem Teilerfolg von 2007.

Aber genau darüber ist in dem neuen Antrag von 2024 nichts zu lesen. Dies wäre besonders wichtig gewesen. Die anderen angesprochenen Themen, wie Archivierung und weitere Unterstützung der NS Gedenkstätten sind wichtig und notwendig, auch wenn dies leider fast achtzig Jahre nach Ende des Faschismus dergestalt behandelt wird. Es signalisiert dem Interessierten, es wird was getan – wenn auch wie es im Antrag formuliert ist – „im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel.“

Und wenn man dann noch bedenkt, dass das Bundesministerium der Finanzen zur Zeit durch die Wirtschafsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) die „Wirtschaftlichkeit und Effizienz“ seines Förderprogramms prüfen lässt, was darauf hindeutet, dass geprüft werden soll, wo in diesem Bereich Gelder zu sparen sind,(2) dann konterkariert dies die in der Bundestagsdrucksache aufgeschriebene Zielsetzung.

Arbeitsgemeinschaft BEZ

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Fußnoten:

1) Andreas Scheulen, Von der Verfolgung zur Entschädigung, S. 161 bis 176 in: Hamm Margret (Hrsg.), Ausgegrenzt warum? Zwangssterilisierte und Geschädigte der NS-„Euthanasie“ in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 2017.

2) Mail an die Ag-BEZ vom 06.06.2024 mit Begleitschreiben des BMF vom 22.4.2024
Textauszug (Hervorhebungen im Original): „Ernst & Young (EY) führt aktuell im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) eine Studie zur Vorbereitung der strategisch-politischen Grundsatzentscheidung der BMF-Leitung über eine Fortsetzung des Förderprogramms „Bildungsagenda NS-Unrecht 2021-2024“ durch. Ein Akkreditierungsschreiben sowie ein Dokument mit Antworten zu Fragen in Zusammenhang mit der Studie finden Sie anbei.
Die „Bildungsagenda NS-Unrecht“ läuft zunächst befristet bis 2024 und fördert außerschulische Bildungsprojekte mit bundesweiter und europäischer Relevanz im Bereich NS-Verfolgung. Das Förderprogramm wird vom BMF als Folgeaufgabe der BMF-Zuständigkeit zur Wiedergutmachung verantwortet und von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) umgesetzt…“

Ergänzende Informationen:

PDF-SymbolOpfer von NS-„Euthanasie“ und Zwangssterilisation – Aufarbeitung intensivieren
Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP
Deutscher Bundestag, 20. Wahlperiode, Drucksache 20/11945 vom 25.06.2024

Aktueller Beratungsstand der Drucksache 20/11945

Aufarbeitung von NS-„Euthanasie“ und Zwangssterilisationen
heute im bundestag (hib) 27.06.24

Antrag zur Aufarbeitung der „Euthanasie“ angenommen
heute im bundestag (hib) 03.07.24