17.01.13: Hintergrunddiskussion zu vergessenen Opfer-Gruppen unter dem Stigma „asozial“ am 27.01.2013 in Berlin

„Minderwertig“, „Unnütz“, „Unangepasst“, „Unwert“, „Abweichend“, „Asozial“ waren nur einige der stigmatisierenden und kriminalisierenden Zuschreibungen zur Ausgrenzung von Menschen bzw. ganzen Personengruppen, die in der Zeit des Naziregimes Verfolgung, Deportation, Zwangssterilisation, Zwangsarbeit und nicht selten auch das Todesurteil bedeuten konnten.

Mehr als 10.000 Menschen, darunter Wohnungslose, Bettler_innen, Empfänger_innen von Sozialleistungen, Sinti und Roma, Jüdinnen und Juden, politisch Verfolgte, Schwule und Lesben, Prostituierte, Menschen mit vermeintlichen „Behinderungen“, Suchtkranke sowie z.T. ihre Familienangehörigen etc. waren davon betroffen. Nur wenige wurden nach 1945 rehabilitiert, entschädigt und als Opfer der Nazis anerkannt sowie eine Aufarbeitung als so genanntes „NS-spezifisches“ Unrecht verweigert.

Doch wird Unrecht zu Recht, nur weil Menschen wegen rassistischer und sozial ausgrenzender Denk- und Argumentationsmuster sowie Gesetze bzw. Gesetzesvorhaben schon vor der Vernichtungsabsicht durch die Nazis oder danach weiter diskriminiert, kriminalisiert und verfolgt wurden? Welche Einstellungs- und Denkmuster führten zu Naziverbrechen? Welche Kontinuitäten und Brüche sowie Folgen für die Betroffenen gab und gibt es von 1945 bis heute?

Mit dieser Veranstaltung anlässlich des „Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus“ am 27. Januar wollen wir über diese und weitere Fragen und Hintergründe zu vergessenen Opfer-Gruppen und Einzelpersonen diskutieren, die unter dem Stigma so genannte „Asoziale“ durch die Nazis zusammengefasst und diskriminiert, ausgegrenzt, verfolgt und ermordet wurden.

Ob und in wie weit nach 1945 bestimmte Opfer-Gruppen dem Vergessen jeweils systembedingt unter verschiedenen Rahmenbedingungen und Ausrichtungen sowie ohne Lobby bewusst oder unbewusst ausgeliefert waren bzw. noch sind, soll ebenfalls erörtert werden. Wir hoffen uns so auch der Antwort auf die Frage nähern zu können, warum politisch motivierte Diskriminierung und Kriminalisierung sowie rassistische und soziale Ausgrenzung bis hin zur direkten oder indirekten Legitimierung der Naziverbrechen auch heute noch zu finden sind. Welche Rolle spielt dabei der Versuch, Opfer-Gruppen und ihre Angehörigen bis heute über strukturelle und finanzielle Abhängigkeiten, über Interessen und Konkurrenzdenken gegeneinander auszuspielen?

Der Gedenktag jährt sich 2013 zum 17. Mal. Das politische Handeln ist lange an Entschädigungs-, Erinnerungs- und Gedenkabwehr ausgerichtet und bewusst u.a. über Finanzierungsvorbehalte sowie so genannte „Sachzwänge“ verhindert bzw. behindert worden.

So umfasst die offizielle bundesrepublikanische „Gedenk- und Erinnerungspolitik“ nicht alle NS-Opfergruppen und oft wurde und wird verstärkt versucht, über die Gleichsetzung von „NS- und Unrecht in der DDR“ politisch motiviert Naziverbrechen zu relativieren, deren Singularität aufzuheben und gleichzeitig die DDR pauschal zu dämonisieren. Parallel dazu wurden authentische Orte von Naziverbrechen wie z.B. das ehemalige Reichskriegsgericht oder das frühere Bewahr- und Arbeitshaus in Berlin-Rummelsburg insbesondere nach 1990 weiter privatisiert und enthistorisiert. In wie weit diese Entwicklungen unter welchen Voraussetzungen und Denkstrukturen fortgesetzt werden und wie Handlungsstrategien dagegen zukünftig aussehen können, soll ein Aspekt der Abschlussdiskussion sein.

Dazu erscheint es uns notwendig auch die Entwicklung des „Arbeitsbegriffes“, den so genannten „protestantischen Arbeitsethos“ sowie Zusammenhänge mit einer neoliberalen Spar- und Wirtschaftslogik, die die Existenz von Menschen unter Finanzierungsvorbehalt stellt, näher zu beleuchten.

Veranstaltung am:
So. 27. Januar 2013 um 11 Uhr im Haus der Demokratie

Robert-Havemann Saal, Greifswalder Str. 4 in 10405 Berlin-Prenzlauer Berg

(ÖPNV: Bus 200, Tram M4 Am, Friedrichshain, S-Bahn Alexander Platz)

mit

– Dr. Susanne Doetz (Medizinhistorikerin)

– Frau Margret Hamm, AG Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten (AG BEZ)

– Frau Ilse Heinrich, „Asoziale“ deportiert ins KZ Ravensbrück

– Amarom Drom e.v. N.N. (angefragt)

– Dirk Stegemann, AK Marginalisierte- gestern und heute

Moderation: Dr. Petra Fuchs (Erziehungswissenschaftlerin)

Kontakt: L. Eberhardt, Tel.: 0176 / 965 03 573, Email: lebgut(at)web.de, Internet: www.marginalisierte.de

Unterstützer_innen:

AG Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten (AG BEZ)
VVN-BdA Berlin, Stiftung Haus der Demokratie, NaturFreunde Berlin, Initiative für einen Gedenkort ehemaliges KZ Uckermark e.V., Galerie Olga Benario,