Zeittafel zur Entschädigungspolitik für Zwangssterilisierte und „Euthanasie“-Geschädigte

Stand: 01.11.2024

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Zwangssterilisierte und „Euthanasie“-Geschädigte werden entschädigungspolitisch bislang nicht als NS-Verfolgte anerkannt und den anderen Verfolgten des Nationalsozialismus nicht gleichgestellt, obwohl zeitgeschichtliche Forschungen den rassistischen Charakter des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (GzVeN) ergründet und belegt haben. Die Opfer von Zwangssterilisation und „Euthanasie“ waren im Bundesentschädigungsgesetz (BEG) quasi nicht vorgesehen.

Die Opfergruppe der Zwangssterilisierten wurde fast ausnahmslos aus dem BEG ausgeschlossen, da diese zum größten Teil aufgrund von Erbgesundheitsgerichtsbeschlüssen zwangssterilisiert worden waren. Zwangssterilisationen aufgrund dieser Beschlüsse wurden nicht als rassistische Verfolgung im BEG anerkannt. So konnten und können auch heute noch die Opfer keinen Anspruch nach dem BEG geltend machen. Eine Möglichkeit zur Entschädigung bestand für sie erst seit 1980. Die Kinder der im Verlauf der „Euthanasie“ ermordeten Opfer haben erst seit 2002 die Möglichkeit, eine sogenannte Einmalzahlung zu erhalten. Bis dahin waren auch sie – bis auf ganz wenige Ausnahmen – von einer Entschädigung ausgeschlossen.

Zeittafel Entschädigungspolitik:

1953: Das Bundesergänzungsgesetz tritt in Kraft.

1956: Das Bundesentschädigungsgesetz (BEG) wird verabschiedet und tritt rückwirkend zum 1. Oktober 1953 in Kraft.

1961-1965:      Entschädigungsforderungen für Zwangssterilisierte werden aufgrund von Expertenanhörungen vom Wiedergutmachungs­ausschuss 1961 abgelehnt. Von den 7 eingeladenen Gutachtern waren 3 NS-Täter: Eugeniker und „Rassenhygieniker“. Der geheim tagende Ausschuss kommt zu dem Schluss, dass das GzVeN nicht im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen gestanden habe.

1965: Das BEG-Schlussgesetz tritt in Kraft. Nach dem 31.12.1969 können keine Anträge mehr nach dem BEG gestellt werden. Für Zwangssterilisierte und „Euthanasie“-Geschädigte sind in § 171 Abs. 4 unter extrem einschränkenden und in der Praxis kaum erfüllbaren Voraussetzungen lediglich Härteausgleichsleistungen vorgesehen. Danach würden Zwangssterilisierte einen Ausgleich erhalten, wenn der Sterilisierung kein Verfahren nach dem GzVeN vorausgegangen wäre. Allerdings gehen fast alle Zwangssterilisationen auf Erbgesundheitsverfahren nach dem GzVeN zurück, bis auf diejenigen, bei denen in Konzentrationslagern Zwangssterilisationen vorgenommen wurden. „Euthanasie“-Geschädigten würde zudem nur dann ein Härteausgleich gewährt, wenn der Getötete der geschädigten Person gegenüber unterhaltspflichtig gewesen wäre.

1980: Erste Möglichkeit zur Entschädigung für Zwangssterilisierte. Unter Beibringung des Erbgesundheitsgerichtsbeschlusses oder eines fachärztlichen Gutachtens kann eine Einmalzahlung in Höhe von 5000 DM beantragt werden. Das bedeutet für einige Antragsteller, dass sie ehemaligen NS-Ärzten zur Begutachtung gegenüberstehen. Vor Auszahlung der sogenannten Einmalzahlung muss eine Vereinbarung zur Abgeltung aller Ansprüche aus der Zwangssterilisation unterschrieben werden.

1988: Die Härterichtlinien im Rahmen des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes (AKG-HR) treten in Kraft. Zwangssterilisierte können erstmalig eine laufende Beihilfe beantragen, wenn das Familieneinkommen unter der sogenannten Notlagengrenze liegt und ein nachhaltiger Gesundheitsschaden infolge der Zwangssterilisation von 40 Grad der Behinderung (GdB) durch ein fachärztliches Gutachten nachgewiesen werden kann.

1989: Eine Änderung der AKG-HR tritt in Kraft. Das für die Gewährung von Härteleistungen nachzuweisende Ausmaß des Gesundheitsschadens durch die Zwangssterilisation wird auf 25 GdB herabgesetzt. Nachzuweisen ist der Gesundheitsschaden durch ein fachärztliches Gutachten.

1990: Die AKG-HR werden erweitert. Für Heimbewohner kann ein monatliches Taschengeld von 200 DM beantragt werden, sofern der Sozialhilfeträger zum Heimaufenthalt zuzahlt. Zwangssterilisierte erhalten auf Antrag eine monatliche Beihilfe in Höhe von 100 DM.

1998: Durch das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege werden die Erbgesundheitsbeschlüsse aus der Zeit des Nationalsozialismus aufgehoben. Für die Opfer hat das Gesetz keine monetären Folgen. Die monatliche Beihilfe erhöht sich von 100 DM auf 120 DM.

2002: Die bis dahin geltende Notlagengrenze für „Euthanasie“-Geschädigte entfällt. Auf Antrag erhalten diese, sofern sie die Ermordung des Vaters oder der Mutter durch Dokumente belegen können, 2556,46 Euro (vormals 5000 DM). Sie dürfen zum Zeitpunkt der Ermordung ihres Elternteils das Alter von 18 Jahren nicht überschritten haben. Es wird nicht die Ermordung der Opfer entschädigt, wie der BEZ gefordert hat, sondern ein Unterhaltsschaden nach § 844 BGB.

2004: Der Bundestag beschließt die Neufassung der AKG-HR. Seit September 2004 erhalten Zwangssterilisierte monatlich 100 Euro. Heimbewohner, die nicht Sozialhilfeleistungen zur Finanzierung des Heimaufenthalts beziehen und bislang höhere (ergänzende) Leistungen erhielten, haben Bestandsschutz. Der Wechsel in ein Alten- oder Pflegeheim muss der Bundesfinanzdirektion mitgeteilt werden. Das Heimtaschengeld beträgt 102,46 Euro. Die Altersgrenze des sogenannten Unterhaltsschadens (§ 844 BGB) der Kinder der Ermordeten erhöht sich von 18 auf 21 und später auf 27 Jahre. Durch die Erhöhung der Altersgrenze erhalten bislang ausgeschlossene Opfer die Einmalzahlung.

2005: Bei der Berechnung der ergänzenden laufenden Leistungen in besonderen Notlagen erhöht sich ab Januar der nicht anrechenbare Sockelbetrag von bislang 153,39 auf 200 Euro.

2006: Die monatliche Zahlung für Zwangssterilisierte erhöht sich ab Januar auf 120 Euro.

2007: Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ wird durch den Deutschen Bundestag geächtet. Zwangssterilisierte und „Euthanasie“-Geschädigte sind gesellschaftlich rehabilitiert. Für die Opfer hat diese Ächtung keine monetären Folgen.

2008: Die Notlagengrenze für erhöhte laufende Leistungen im Rahmen der AKG-HR wird aufgehoben.

2011: Die AKG-HR werden nach dem Bundestagsbeschluss vom 27. Januar, dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus neugefasst. Seitdem erhalten Zwangssterilisierte monatlich 291 Euro. „Euthanasie“-Geschädigte, die bereits in einer Tötungsanstalt waren und zurückgestellt wurden, erhalten ebenfalls monatlich 291 Euro. Das Privileg haben nach der AKG-HR Änderung 3 Opfer. Das Heimtaschengeld beträgt derzeit 150 Euro.

2014: Die Entschädigungszahlungen für Zwangssterilisierte und „Euthanasie“-Geschädigte (noch zwei lebende Opfer) werden seit Juli automatisch den Beihilfen aus dem Artikel-2-Fonds angepasst und die Opfer erhalten 320 Euro. Die Heimtaschengeldregelung entfällt – alle erhalten 320 Euro.

2016: Im November 2016 lebten noch 135 Zwangssterilisierte und 1 „Euthanasie“-Geschädigter, die eine monatliche Zahlung erhalten. Die anderen noch lebenden „Euthanasie“-Geschädigten werden statistisch nicht erfasst.

2017: Alle Zwangssterilisierten und 1 „Euthanasie“-Geschädigter erhalten ab 4. Quartal 2017 rückwirkend zum 1. September 2016 monatlich 352 Euro.

2018: Im Januar 2018 lebten noch 103 entschädigungsberechtigte Zwangssterilisierte und 1 „Euthanasie“- Geschädigter.

2019: Ab 1. Januar 2019 erhalten alle Zwangssterilisierten und 1 „Euthanasie“-Geschädigter sowie betroffene Heimbewohner monatlich 415 Euro.

2020: Ab 1. Januar 2020 erhalten alle Zwangssterilisierten (noch 59 Lebende) sowie betroffene Heimbewohner monatlich 513 Euro.

2021: Ab 1. Januar 2021 erhalten alle Zwangssterilisierten sowie betroffene Heimbewohner monatlich 580 Euro. Diese Gelder werden an 49 zwangssterilisierte Beihilfeberechtigte ausgezahlt.

2022: Gemäß dem Erlass des BMF vom 14.02.22 wird rückwirkend zum 01.09.21 die laufende Leistung für alle Zwangssterilisierten sowie betroffene Heimbewohner von 580,- Euro auf 600,- Euro erhöht. Die Erhöhung wird unverzüglich umgesetzt. Im Februar 2022 lebten noch 36 entschädigungsberechtigte Zwangssterilisierte, am 31.12.2022 waren es noch 29 Betroffene. Es gibt noch einen beihilfeberechtigten „Euthanasie“-Geschädigten.

2023: Für 2023 ändert sich an der Höhe der Entschädigungsleistungen mit Stand September nichts. Im August 2023 lebten noch 18 beihilfeberechtigte Zwangssterilisierte und ein „Euthanasie“-Geschädigter.

2024: Die AKG-Härtebeihilfe wurde rückwirkend zum 01.12.2023 auf 667,00 Euro erhöht. Die Nachzahlung wurde zum Monat Juni den Berechtigten bereits ausgezahlt. Im Juni 2024 lebten noch 13 beihilfeberechtigte Zwangssterilisierte und ein „Euthanasie“-Geschädigter. Zum 01.11.24 waren es noch 12 beihilfeberechtigte Zwangssterilisierte und ein „Euthanasie“-Geschädigter.

Die hier gesammelten Informationen zur Entschädigung der Zwangssterilisierten und „Euthanasie“-Geschädigten werden seit Gründung des BEZ zusammengetragen. Die zuständige Entschädigungsbehörde ist seit einigen Jahren die Bundesfinanzdirektion West in Köln. Innerhalb der Behörde gelten Verwaltungsvorschriften, die dem BEZ nicht zugänglich sind und sich im Lauf der Jahre möglicherweise geändert haben. Eine Einsichtnahme wäre nur über den Klageweg zu erreichen, wie man uns 2006 sagte.

Übergangsleistungen auch für Witwen und Witwer von AKG-HR seit 2021

Diese Übergangsleistungen werden nur auf Antrag gezahlt, wenn der Antragssteller zum Todeszeitpunkt des Ehegatten verheiratet war.

„Übergangsleistungen werden längstens neun Monate gewährt. Sie beginnen in dem Monat, der dem Tod des NS-Opfers folgt. Sie enden nach neun Monaten oder dem Tod der berechtigten Person.“ In: Merkblatt für Übergangsleistungen an hinterbliebene Ehegatten von NS-Opfern vom Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV).

Der Antrag ist auf einem vorgeschriebenen Vordruck des BADV, der auch im Internet herunterladbar ist, zu stellen.
Siehe dazu Richtlinie der Bundesregierung über Übergangsleistungen an hinterbliebene Ehegatten von NS-Opfern, dort rechte Infobox.

Dem Antrag sind beizufügen:

die Kopie eines gültigen Ausweisdokuments, ggf. Vollmacht oder Beschluss des Vormundschaftsgerichts, Eheurkunde, Sterbeurkunde des NS-Opfers, Rentenbescheid bzw. Bescheid über die Zahlung laufender Leistungen und eine unterschriebene Abtretungsvereinbarung bei Beantragung oder Bezug einer Hinterbliebenenrente oder laufender Hinterbliebenenbeihilfe (siehe Merkblatt Übergangsleistungen)

Der Antrag ist an das

Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV)
11055 Berlin

zu richten.

Für Auskünfte steht Ihnen ein telefonischer Service unter folgender Telefonnummer zur Verfügung: (030) 187030 1324.

(Diese Information erhielten wir im Februar 2023.)


Ergänzung 11.09.23: Diese Zeittafel stammt aus dem Mitte Mai 2017 im Metropol-Verlag erschienenen Buch von Margret Hamm: „Ausgegrenzt! Warum? Zwangssterilisierte und Geschädigte der NS-›Euthanasie‹ in der Bundesrepublik Deutschland“. Die Zeittafel wird hier laufend ergänzt.

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